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Bernd Engler – Was die Dinge wollen

 

Bernd Engler studierte an der Burg Giebichenstein in Halle Malerei. Das herkömmliche Naturstudium beherrscht er vollkommen, sein Handwerk ist ausgefeilt, er ist ein genauer, sensibler, umsichtiger Beobachter. So ausgestattet, hätte er vielleicht als Maler erfolgreich sein können. Aber Engler ging es um anderes. Schon früh faszinierten ihn Werke der Kinetischen Kunst, vor allem jene der italienischen „Arte Programmata", einer Bewegung der so genannten „algorithmischen Revolution" in der internationalen Szene seit dem Ende der 1950er Jahre, die auf Ansätze des Konstruktivismus und Futurismus aufbaute. Ihr nahe stehende Künstler koppelten gestalterische Entscheidungsprozesse an Abläufe, die Folge einer Programmierung und insofern unabhängig vom klassischen „Schöpfungsakt" sind. Neben Fluxus waren Op-Art und Kinetische Kunst, in Deutschland vor allem repräsentiert durch die Düsseldorfer Gruppe ZERO, die wichtigsten Spielarten dieser Strömung. Dabei ging es nicht nur um ein neues, dem wissenschaftlichen Experiment angenähertes Konzept künstlerischer Arbeit, sondern auch darum, den sozialen Raum in den Kontext des Kunstwerks einzubeziehen. Gemeint ist ein Prozess, an dem Künstler, Werk und Publikum mit je eigener Autonomie teilhaben, sodass das Glück einer „Offenbarung" hier ebenso beim Künstler liegt wie bei denen, die sich mit seiner Arbeit auseinander setzen. Es ist solche Art Erkenntnis- und Offenbarungssuche, der Bernd Engler sich widmet. „Kunst ist nicht Ausdruck. Sie ist Wissen", äußerte der von ihm verehrte Altmeister der Optischen und Kinetischen Kunst Lateinamerikas, Jesús Raphael Soto. Bei Engler kommt Demut hinzu, wenn er behauptet, als Künstler lediglich zu tun, „was die Dinge wollen". Das Gutshaus bei Demmin, wo er seit 1993 lebt, ist eine einzige Werkstatt, angefüllt mit Notaten und Entwürfen für hunderte Projekte, die verraten, was ihn am Verhalten seiner Umgebung fesselt: dem der Wolkenhimmel, Felder und Wasserflächen in der Landschaft, der Körper und Stoffe seiner mannigfaltigen Fundstücksammlung zum Licht, zu kinetischen und akustischen Impulsen, zur Schwerkraft, am Verhalten elektrischer Phänomene zu Einflüssen aller Art. Bernd Engler beschäftigen die Schnittstellen solchen Verhaltens mit der menschlichen Wahrnehmung, die dabei entstehende Resonanz. Um seine Entdeckungen zu verarbeiten, nimmt er Methoden der „Arte Programmata" und anderer Anreger in veränderter Form wieder auf: nicht durch Perfektionierung der technischen Seite, sondern, indem er ein neues, erweitertes Spektrum an Themen und Umsetzungsvarianten einbringt, eine eigene Poesie. Es ist eine Poesie der Übergänge, der Umschläge und allmählichen Wechsel von einer Struktur, einem Energiezustand, einer optischen Manifestation in jeweils andere. Bernd Engler interpretiert solche Übergänge existenziell, im Sinne der Polarität von Diesseits und Jenseits, Leben und Tod. Autodynamische Entwicklungen verschiedener Art setzt er mit einfachsten Mitteln ingang, teils manuell, teils maschinell unterstützt, teils durch einkalkuliertes fremdes Reagieren und Handeln. Die gestalterische Überzeugungskraft, das Assoziationsreiche, Anmutige seiner Zeichnungen und Collagen, der Objekte, Installationen, Performances und Filme ist das eine, das andere ihr konstruktiv-funktionales Gesicht, für das ästhetische Determinanten kaum eine Rolle spielen. Es macht immer wieder den Eindruck, als habe man Spuren, Signale eines Organismus vor sich – oder den leibhaftigen Stellvertreter eines solchen: eines Organismus, dessen Schönheit im Geheimnis des Lebensfadens liegt, den er vor aller Augen spinnt wie ein Ritual. In dieser Anmutung steckt eine Aussage über den Zusammenhang von Programmierung und archaischer Lebenspraxis: Sind Rituale doch uralte Formen programmierten Verhaltens, die Gemeinschaften selbst außerhalb der menschlichen zusammenhalten, ist Programmierung schließlich ein Grundmuster des Lebens. Gemessenes Wiederholen, ein streng gesetzter formaler Rahmen, der Toleranzen, Verschiebungen, Variationen in den Abläufen und ihren Effekten gleichwohl zulässt, ja verlangt: das sind organische Prinzipien und als solche empfindbar - so, als ginge ein Atem von diesen Arbeiten aus, eine Wärme und Vibration. Kein Wunder, dass Englers Programmierungen häufig in Kreise, Spiralen und Schleifen münden: Hier stößt er auf jene Formen, in denen das organische Prinzip adäquate Gestalt annimmt. Man darf sich solche Formergebnisse seiner Arbeiten aber nicht allzu direkt als „vorgewusste" Lösungen denken. Bei aller Stringenz der Umsetzung behalten sie doch meistens einen skizzenhaften Charakter: eben den einer frischen Idee.

Katrin Arrieta